„Bergführer“-Vertrag oder nur Gefälligkeit: Haftung Rettungskosten

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„Bergführer“-Vertrag oder nur Gefälligkeit? Bergerfahrener Tourenbegleiter haftet nicht für Rettungskosten.

Kosten für Rettung durch Bergwacht nach Bergtour ohne geeignete Kleidung

Eine kaum erfahrene Wanderin und ihre Online-Bekanntschaft, ein Hobby-Bergsteiger, verabredeten sich nach ein paar Treffen zu einer Bergtour. In einem Chat hatte der Mann der Frau zuvor geschrieben „Bekommst vollen Service :)“ und – auf Nachfrage der Frau, was „noch alles inklusive“ sei – inklusive „Brotzeit, persönlicher Bergführer und diverse Überraschungen :)“.

Obwohl es November war und auf dem Berg Schnee und Eis lagen, erschien die Frau in Leggins und ohne warme Jacke. Am Fuße des Berggipfels beschlossen beide auf Vorschlag des Begleiters, nicht mehr bis zum Gipfel zu wandern sondern stattdessen einen Rundweg zu laufen. Die neue Route hatte der Begleiter auf dem Handy herausgesucht. Nachdem sich die beiden verlaufen hatten, es bereits dunkel wurde und sie an eine Felswand kamen, die die Frau nicht herunterklettern wollte, riefen sie die Bergwacht. Diese stellte eine Unterkühlung der Frau fest und berechnete für die Rettung mit dem Hubschrauber Kosten von rund 8500 €. Die Frau bezahlte die Rechnung, verlangte dann aber von ihrem Begleiter die Erstattung des Betrages. Als dieser die Zahlung verweigerte, klagte die Frau vor Gericht auf Schadensersatz.

Hinweisbeschluss OLG München vom 03.04.2024, Az.: 17 U 4445/23 e: kein Vertrag da kein Wille, sich rechtlich zu binden

Die Frau begründete den geltend gemachten Schadensersatzanspruch damit, dass ihr Begleiter als (faktischer) Bergführer seine Pflichten aus dem „Bergführer“-Gefälligkeitsvertrag verletzt habe und daher den entstandenen Schaden ersetzen müsse (sog. vertragliche Haftung). Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass kein Vertrag zustande gekommen ist, würde der Begleiter haften, da er die Gesundheit der Frau in fahrlässiger Weise widerrechtlich verletzt hat, indem er die Tour nicht abgebrochen hat, als sich die beiden auf dem Rundweg verlaufen haben und sich abzeichnete, dass es bald dunkel wird (sog. deliktische Haftung).

Das Landgericht München I wies die Klage der Frau ab. Das Gericht sah keinen Rechtsbindungswillen des Mannes, also keinen Willen, sich durch die Verabredung zur Bergtour rechtlich zu etwas zu verpflichten. Damit lag kein Gefälligkeitsvertrag mit Rechten und Pflichten vor sondern eine reine Gefälligkeit. Auf die Berufung der Frau hat sich das Oberlandesgericht München der rechtlichen Einschätzung des Landgerichts angeschlossen und in einem Hinweisbeschluss auf die mangelnden Erfolgsaussichten der Berufung hingewiesen.

Wirksamer Vertrag: ausdrückliche Erklärung oder konkludent und grundsätzlich keine Schriftform (Papier mit Unterschrift) nötig

Verträge können nicht nur ausdrücklich sondern auch konkludent geschlossen werden, also durch entsprechendes Handeln. Wer im Supermarkt kommentarlos Waren auf das Kassenband legt, erklärt damit konkludent, diese Waren zum ausgeschilderten Preis kaufen zu wollen, gibt also ein Angebot ab, einen Kaufvertrag über diese Waren zu schließen. Die Kassiererin nimmt das Angebot an, indem sie die Waren über den Scanner zieht und den Kaufpreis verlangt. Eine bestimmte Form von Angebot und Annahme des Vertrages, etwa Schriftform (Stück Papier mit Unterschrift), ist nur nötig, wenn ein Gesetz dies vorschreibt. Ist dies nicht der Fall, sind auch mündliche oder in Textform (e-Mail, Whats-App) geschlossene Verträge wirksam. 

Pflichten können auch schon im Vorfeld eines Vertrages entstehen, etwa bei der Aufnahme von Vertragsverhandlungen, bei der Anbahnung eines Vertrages oder bei ähnlichen geschäftlichen Kontakten. Meist handelt es sich dabei um Rücksichtnahmepflichten, etwa dass der Verhandlungspartner bei den Vertragsverhandlungen bzw. der potentielle Kunde im Ladengeschäft keinen Schaden erleidet (z.B. durch Stolperfallen in den Geschäftsräumen oder einen gerade nass gewischten Boden im Ladengeschäft), oder die Verpflichtung zur Vertraulichkeit bzw. Verschwiegenheit.

Reine Gefälligkeit oder konkludent geschlossener Gefälligkeitsvertrag: Auslegung Erklärungen maßgebend

Entscheidend für die Abgrenzung zwischen Gefälligkeitsvertrag und reiner Gefälligkeit ist die Auslegung der von beiden Seiten abgegebenen Erklärungen.

Bei der Bergtour war daher entscheidend, ob die Erklärung des Begleiters, mit der Frau gemeinsam auf den Berggipfel wandern zu wollen, so auszulegen ist, dass sich der Begleiter rechtlich binden und Pflichten übernehmen wollte. Bei rein privaten Freizeitveranstaltungen wie einer gemeinsamen privaten Bergtour ist dies meist nicht der Fall. Hier steht der soziale Kontakt im Vordergrund. Anders sieht dies bei geschäftlichen Kontakten aus. Für eine andere Beurteilung hätten daher weitere besondere Umstände hinzukommen müssen. Allein ein gewisser Erfahrungsvorsprung (den es bei mehreren Teilnehmern praktisch immer gibt) oder die Übernahme der Tourenplanung genügen hierfür nicht. Anders wäre dies eventuell bei einer besonderen Qualifikation des Begleiters (z.B. Bergführerausbildung) gewesen.

Auch die Auswertung des Chat-Verlaufs im Vorfeld der Bergtour führte zu keiner anderen Bewertung. Der Begleiter hatte sich darin zwar als „persönlicher Bergführer“ der Frau bezeichnet. Diese Erklärung ist aber nicht dahingehend auszulegen, dass sich der Mann wie ein Bergführer verpflichten wollte, also die Pflichten eines Bergführers übernehmen wollte. Dies war für die Frau auch erkennbar. Der Chat war im Ton eines Flirts gehalten. Der Mann wollte sich erkennbar nicht rechtlich binden, sondern der Frau die Tour nur schmackhaft machen und signalisieren, dass er die Tour zu einem besonderen Erlebnis machen will.

Das Gericht betonte die Eigenverantwortung jedes Teilnehmers. Die Entscheidung, statt zum Gipfel einen Rundweg zu wandern sei genauso eine gemeinsame Entscheidung gewesen wie die Entscheidung, die Bergwacht zu alarmieren. Die Frau hätte zu keinem Zeitpunkt ihre Eigenverantwortung aufgegeben und der Mann hätte nie willentlich Schutzpflichten für die Frau übernommen.

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